Die Geschichte des Pfarr-Klosters St.Andreas
2.Im Spiegel der Geschichte (1900-2000)
Die Franziskanerklosterkirche St. Andreas in Halberstadt ist ein bedeutendes Beispiel der Bettelordensarchitektur in Sachsen. Sie spiegelt heute mehr als zu ihrer Erbauungszeit die Bauregeln des Franziskanerordens wieder, die größtmögliche Einfachheit und Schlichtheit forderten. Das einfache und radikale Leben des hl. Franziskus von Assisi sprach viele Menschen an. Das beginnende 13. Jahrhundert war ja auch eine Zeit voller Umbrüche und Fragen, in der die Menschen wie selten zuvor in Sekten Zuflucht suchten. Da schien für viele das Lebensbeispiel des hl. Franziskus eine Antwort zu sein. Die erste Urkunde, die die Anwesenheit der Brüder in Halberstadt bezeugt, stammt aus dem Jahre 1284. Aus ihr geht hervor, daß die Franziskaner in diesem Jahr bereits am heutigen Standort des Klosters ansässig waren.
Nicht zuletzt durch die rasche Ausbreitung der Bruderschaft und die große Zahl der Brüder erlahmte der Eifer der ersten Jahre, die Brüder wichen bald von den Idealen des Gründers ab. Dieser Zustand führte schließlich im Jahr 1517 zur Spaltung des Ordens. Die Brüder in Halberstadt überstanden nicht nur dies, sondern auch die Wirren der Reformation und des Dreißigjährigen Krieges. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen neue Stürme auf das Kloster loszubrechen. 1810 wurde die Aufhebung des Klosters verfügt. Erst im Oktober 1920 konnten die Brüder wieder nach Halberstadt zurückkehren. Aber schon 25 Jahre später erlebten die Brüder mit der ganzen Stadt die dunkelste Stunde ihrer Geschichte. Am 8. April 1945 wurde mit dem größten Teil der Stadt auch die Andreaskirche bei einem Luftangriff zerstört.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Gemeinde, die unentgeltlich 51.000 Arbeitsstunden in die Enttrümmerungsarbeiten ihrer Franziskanerkirche investiert hatte, schon bald mit dem Wiederaufbau. Am 14. Oktober 1951 war der Chor in alter Form wieder aufgebaut, das Kirchenschiff blieb, nach oben offen, bis 1981 als Ruine stehen. Die Schlußweihe fand am 6. Oktober 1985 statt. Es entstand ein Saal, der heute in etwa den Bauvorschriften entspricht, die sich die Franziskaner 1260 selbst gaben. Faszinierend ist wohl die Spannung zwischen dem strengen, hellen Kirchenschiff und dem entsprechend dem Ursprungszustand wiederhergestellten schmalen Langchor mit seinen hoch aufstrebenden Linien. Bewußt wurde auf eine übertriebene Ausstattung verzichtet, der Außenbau blieb ohne Schmuck.
Neben einer französisch beeinflußten Madonna aus feinstem Alabaster haben sich verschiedene Grabmäler erhalten. Das wertvollste Stück der Ausstattung, das nach dem Krieg aus der Domsammlung in die Andreaskirche kam, ist der Schnitzaltar im Chorraum. Die hervorragende Arbeit des Weichen Stils aus der Zeit um 1420/30 zeigt im Zentrum neben Patronen Halberstädter Kirchen und Klöster eine Krönung Mariens.
2. Im Spiegel der Geschichte (1902-2000)
1902 - Gründung des Kirchenchores.
1920 - Nach über 100-jähriger Abwesenheit kehren die Franziskaner nach Halberstadt zurück. Da das alte Kloster mittlerweile als Schulgebäude genutzt wird, ziehen sie in das Pfarrhaus in der „Plantage“. Pfarrer der Gemeinde wird P.Liberatus Neveling.
1921 - Erste öffentliche Fronleichnamsprozession seit 400 Jahren.
- Katholikentreffen auf dem Huy zur 800-Jahrfeier der Huysburg.
1923 - Anlässlich der Ankunft der Franziskaner in Halberstadt vor 700 Jahren wird für einen Kirchbau in Halle gesammelt. Ergebnis: 1 Milliarde und 168 Millionen Mark.
1928 - Bischof Hillebrand von Paderborn firmt in St. Andreas 178 Firmlinge und 125 in St. Katharinen.
- Nuntius Pacelli besucht nach Abschluss des kleinen Katholikentages in Magdeburg Halberstadt. In Halberstadt geht deshalb das Gerücht um, die Katholiken wollen den Dom wiederhaben.
1929 - In der Kirche wird eine Heizung eingebaut. Dabei entdeckt man ein Grabgewölbe.
1930 - Zum 60 jährigen Jubiläum des katholischen Männervereins hält Reichskanzler a.D. Dr. Marx den Festvortrag.
1933 - Armenunterstützung an der Klosterpforte: Täglich werden 30 Portionen Mittagessen ausgegeben.
1934 - Franziskaner sichern die Polenseelsorge von Halberstadt bis Leipzig.
1937 - Die Hetze des NS-Regimes gegen die Kirche bedingt 51 Kirchenaustritte.
- Gestapo durchsucht Pfarrhaus und beschlagnahmt Unterlagen des Jungmännervereins.
1938 - Fronleichnamsprozession findet unter reger Beteilung statt; auch evangelische Christen stehen am Weg Spalier.
1939 - Auflösung der katholischen Schule durch die Nazis.
- Verkauf des Andreas-Friedhofes an die Stadt.
1941 - Die Kirchenglocken müssen für Kriegszwecke abgeliefert werden.
- Ein SA-Mann zwingt den Pfarrer bei der Verlesung einer Predigt von Kardinal Galen, die Kanzel zu verlassen.
- Gemeindemitglieder schreiben heimlich mit Blaupausen die Galen-Predigten ab und verteilen diese.
1943 - Kunstschätze der Kirche werden wegen Luftangriffen verpackt und nach Adersleben ausgelagert.
1945 - Die St.Andreas-Kirche wird beim Bombenangriff am 8.4. vollständig zerstört. Nur das Pfarrhaus (Gauß-Schule) bleibt erhalten.
- Die evangelische St.-Johannis-Gemeinde gewährt uns Gastrecht in ihrer Kirche.
1947 - Der Kanzelpfeiler stürzt mit dem darüber liegenden Gewölbe ein.
- Verhandlungen beginnen über Grundstückstausch mit der Stadt: Altes Kloster gegen heutiges Schulgrundstück.
1948 - Pater Innozenz weiht in der Windhorst-Straße die Kapelle der Karmelitinnen ein.
- Bei Stimmenthaltung der SED-Fraktion wird dem beantragten Grundstückstausch durch die Stadtverordnetenversammlung zugestimmt.
- Beginn der Enttrümmerungsarbeiten. Binnen eines halben Jahres leisten Gemeindemitglieder 11.312 unentgeltliche Arbeitsstunden.
1950 - Zwei junge Männer, die in der Jugend aktiv sind, Herr Pioch und Herr Lohse, werden von der GPU verschleppt. Zwei Jahre später schreibt das Standesamt Todesurkunden, Sterbeland Sibirien, aus.
1951 - Weihe der Kreuzkapelle und des wiederaufgebauten Hohen Chores.
1953 - Einweihung des neuen Klosters.
1958 - Die neue Schwalbennestorgel wird eingeweiht.
1969 - Erste ökumenische Pfingstwoche in Halberstadt.
1970 - Bischof Braun konsekriert den neuen Hochaltar im Hohen Chor
1981 - Pfarrer P. Innozenz, Wiedererbauer von Chor, Pfarrhaus und Kloster sowie Begründer von drei Kapellen in den Außenstationen Harsleben, Langenstein und Derenburg, stirbt.
1984 - Mit Johann Prievitzer wird der erste verheiratete Diakon aus der Gemeinde geweiht.
1985 - Weihe des wiederaufgebauten Kirchenschiffes durch Bischof Braun und Grablegung der Reliquien des Hl. Burchard.
1986 - In der überfüllten Andreaskirche feiern über 1000 Gläubige aus verschiedenen Gemeinden Leipzigs Gottesdienst. „Halberstadt ist in der Hand der Sachsen“, wird gefrotzelt.
- Gemeinsamer ev./kath. Kirchentag in Halberstadt.
1987 - Fast 100 Gemeindemitglieder erleben das Katholikentreffen in Dresden: „Gottes Macht - Unsere Hoffnung“. Hier gibt es erste kleine Anzeichen einer politischen Wende.
- Der Liedermacher Gerhard Schöne begeistert knapp tausend Zuhörer in St. Andreas.
- Erster Besuch eines Generalministers der Franziskaner, Pater John Vaughn, in Kloster und Gemeinde St. Andreas.
1989 - Friedlicher Protest bewirkt im Herbst die Wende.
1991 - Als Überraschungsgäste beim Pfarrfest im Klostergarten stellen sich drei Elefanten ein.
1992 - Mit 600 anderen Chorsängern/innen sind auch Mitglieder des Singkreises aus St.Andreas beim Papst in Rom.
1994 - Pfarrhaus und Kloster werden renoviert.
1996 - Pater Oswald richtet die Wärmestube ein
1997 - Die neue Eule-Orgel wird eingeweiht.
1998 - St. Andreas feiert die Einweihung des Gotteshauses vor 700 Jahren sowie 775 Jahre Franziskaner in Halberstadt.
- P.Konrad Kretschmar wird nach 22 Jahren als Pfarrer verabschiedet.
- Am 25.Oktober wird P.Stephan Donath als neuer Pfarrer eingeführt.
2000 - Die Gemeinde feiert am 18. bzw. 19.Oktober (kirchlicher Gedenktag) mit einen Festgottesdienst und anderen Publikationen den 1000. Geburtstag des Hl. Burchard (1000-1056), Bischof von Halberstadt. Seine letzte Ruhestätte hat er unter dem Hauptaltar der St.Andreas-Kirche gefunden.
1. |
1812-1821 |
Pater Flavian Ostendorf OFM |
2. |
1821-1838 |
Pater Philipp Biermann OFM |
3. |
1838-1840 |
Pfarrer Rukin |
4. |
1840-1855 |
Pfarrer Degenhardt |
5. |
1855-1869 |
Pfarrer Drolshagen |
6. |
1870-1886 |
Pfarrer Seneca |
7. |
1887-1898 |
Pfarrer Müller |
8. |
1898-1907 |
Pfarrer Wilhelm Stieren |
9. |
1907-1920 |
Pfarrer Franz Goller |
10. |
1920-1921 |
Pater Servatius Schittly OFM |
11. |
1921-1924 |
Pater Heribert Schwanitz OFM |
12. |
1924-1946 |
Pater Liberatus Neveling OFM |
13. |
1946-1974 |
Pater Innocenz Weber OFM |
14. |
1976-1998 |
Pater Konrad Kretschmer OFM |
15. |
1998-2008 |
Pater Stephan Donath OFM |
16. |
2008-2….. |
Pfarrer Norbert Sommer |
Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und der angrenzenden Gebiete:
Urkundenbuch der Stadt Halberstadt, Schmidt, Halle 1878.
Urkundenbuch des Stiftes St. Johannes, Diestelkamp, Weimar 1989.
Chronik des Br. Jordan v. Giano (1262) in: »Nach Deutschland und England«, Coelde Verlag, Werl 1957.
Literatur
Schlager, Aus Halberstadts franziskanischer Vergangenheit, Werl 1923.
Woker, Geschichte der Norddeutschen Franziskanermission, Freiburg 1880.
Döring, O., Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Halberstadt Stadt und Land, Halle 1902.
Beiträge zur Geschichte der Sächs. Franziskanerprovinz, Bd. IV. und V. Jg. 1911/12.
Schrader, F., Stadt, Kloster und Seelsorge, St. Benno, Leipzig 1988.
Arndt, Die Volksschule der Franziskaner in Halberstadt, in Franziskanischen Studien, 15. Jg.
Nähere Informationen finden Sie im:
- PEDA-Kunstführer Nr.387/1996 „Die St.Andreas-Kirche zu Halberstadt“, ISBN 3896430432
- PEDA-Kunstführer Nr 471/2000 „Heiliger Burchard I. (1000-1059), Bischof von Halberstadt“. ISBN 3896431293
Beide Kunstführer können Sie auch Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! bestellen.
Inhaltsverzeichnis des Kunstführers: 1.Topographie und frühe Stadtgeschichte |
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Inhalt des Kunstführers: Der heilige Burchard I. (1000-1059) 1. Kindheit und Erziehung |
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- Zuletzt aktualisiert: 31. August 2012